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tuntenball scandal

Nackt bei der Tuntenball-Eröffnung

Als ich auf Facebook die Anfrage erhielt, ob ich Teil einer (gestellten) Orgie bei der Tuntenball-Eröffnung sein wollte, hätte ich nicht gedacht, dass ich nach einiger Überlegungszeit zustimmen und dabei sein würde.

Vorletzten Samstag ging der Tuntenball mit dem Motto ACT über die Bühne. Während sich die Besucher daheim noch schminkten und verkleideten, fand ich mich mit 15 anderen motivierten Leuten backstage ein. Wir alle waren im Laufe der letzten Wochen gefragt worden, ob wir Teil der Tuntenball-Eröffnungsshow sein wollten. Getrieben vom Wunsch, gratis zum Tuntenball zu kommen, hatte ich eingewilligt mitzumachen, ohne ganz genau zu wissen, was mich erwarten würde.

Aus Orgie wird Kuschelhaufen

Im Laufe des ersten Organisationstreffen wurde der Name der Performance von „Orgie“ auf „Kuschelhaufen“ geändert, wohl auch um uns nicht zu sehr von dem Projekt abzuschrecken. Zum Auftritt von Miss Alexandra Desmond sollten wir mit einem Stück Stoff bekleidet auf die Bühne kommen und uns im Laufe ihrer Live-Performance ausziehen, einander annähern, zu kuscheln und zu schmusen beginnen. Kein Live-Sex also, aber das hatte auch niemand erwartet. Zu diesem Zeitpunkt wussten wir noch nicht, dass dies auch die letzte Eröffnungsshow von Miss Desmond werden würde, die kurz nach dem Event bekannt gab, dass sie als „Tuntenball-Mutti“ aufhören würde.

Love is all around

Ich war nicht alleine in dem Unterfangen. Ich war mit meinem Partner und einigen Freunden gekommen und auch die unbekannten Personen wirkten sympathisch und einladend, es herrschte generell eine angenehme Atmosphäre. Außerdem würden wir mit Alex Desmond, einer Feuerspuckerin und zwei Walzer-Pärchen auf der Bühne stehen. Es wurde gesagt, dass der Fokus nicht auf uns gelegt würde, wir wären eher im Hintergrund. Wobei ein Haufen nackter Menschen auf gewisse Art und Weise wohl immer im Vordergrund steht – oder?

Nackt ist normal

Vor dem Auftritt und während der Vorbereitungen war ich unglaublich nervös. Ich hatte keine Scheu davor, nackt auf der Bühne zu stehen und den Moment auszuleben. Erst später fiel mir aber ein, dass Medien, Fotografen und Filmteams vor Ort sein würden und es kam Unbehagen auf, dass der Moment festgehalten und veröffentlicht werden würde. Ich war mir unsicher: Würden mich solche Fotos stören? Was, wenn meine Eltern oder Bekannte von mir diese sehen würden?

Nacktsein ist doch völlig normal. Oder duscht ihr mit Unterwäsche? Nackt in der semi-Öffentlichkeit zu sein war natürlich wieder etwas anderes. Denn anders als in der Sauna oder am FKK-Strand sind bei der Tuntenball-Eröffnung nicht alle nackt. Die Augen von ein paar hundert Leuten würden auf uns gerichtet sein. Die Botschaft hinter der Performance find ich aber spannend und wichtig: das Ausleben der freien und offenen Liebe, jeder und jede wie er oder sie möchte.

Die Aufregung vor dem Sturm

Ich schwankte lange Zeit hin und her, wusste, dass ich es bereuen würde, nicht mitzumachen und hatte Angst davor, es ebenso zu bereuen, wenn ich mitmache. In meinem Kopf rechnete ich mir bereits negative Konsequenzen dieser Performance aus. Im Endeffekt gewann mein FOMO und meine Lust darauf, neue Erfahrungen zu machen. So fand ich mich einen Tag vor dem Tuntenball mit den anderen Beteiligten zur Generalprobe im Stefaniensaal des Grazer Kongress ein.

Ohne Licht- und Nebeltechnik und Sound aus einer Bluetooth-Box war die Probe doch etwas weniger mystisch als in meiner Vorstellung. Tatsächlich beachtete ich aber kaum, was um mich herum vorging, sondern fand mich in der unglaublich liebevollen Gruppe an Menschen wieder. Es war eine Performance, doch die Linie zwischen Schauspiel und echter Emotion war sehr verschwommen. Außerdem war mein Freund ja auch bei mir. Jedenfalls war ich so tief in dem Moment drinnen, dass ich erst am Ende der Show bemerkte, dass Veranstalterteam und Helfer vom Tuntenball dagestanden und uns zugesehen hatten.

„Die Wahrheit ist nackt!“

Mit diesen Worten würde uns Miss Desmond in der Show das Keyword geben, um uns auszuziehen. Die Musik würde von einem sanften Liebeslied zu Smack my Bitch up von The Prodigy wechseln und wir sollten immer heißer werden. Eine Stunde vor der Eröffnung saßen die meisten von uns bereits nackt in der Garderobe – die Aufregung hielt sich aber noch in Grenzen. Im Laufe der letzten Proben hatten wir uns gut kennengelernt und sind uns (logischerweise) nähergekommen. Es fühlte sich an, als würde ich dort mit einigen alten Bekannten sitzen, dabei kannte ich viele erst seit ein oder zwei Wochen.

Als wir uns schließlich final aufstellten und uns noch motivierende Worte von Miss Desmond anhörten, war schon etwas mehr Aufregung zu spüren. „Wir machen das jetzt wirklich“, sagte mein Freund unglaubwürdig zu mir. So richtig konnte ich es selbst nicht glauben. Das war wohl das verrückteste, dass ich in meinem Leben bisher gemacht hatte und jetzt gab es kein Zurück mehr.

Zu meiner Überraschung fühlte sich der finale Auftritt nicht viel anders an als die Proben. Ich spürte einen zusätzlichen Adrenalin-Kick und den Druck, keinen Fehler zu machen, aber sobald ich mich auf meinem Platz eingefunden hatte, hörte ich damit auf, das Publikum beachten. Die Menschen in unmittelbarer Umgebung waren Ablenkung genug. Nur hin und wieder, als es Applaus gab, wurde ich daran erinnert, dass uns gerade Leute zusahen. Auch von der Feuerspuckerin oder den anderen Showeinlagen bemerkte ich nichts.

Die Nacktheit sollte zwar für Aufmerksamkeit sorgen, tatsächlich ging es mir bei dieser Performance aber um eine ganz andere Botschaft. So wie der Tuntenball selbst steht sie für mich als Zeichen für das Ausleben der freien Liebe in allen offenen und geschlossenen Formen, ganz ohne gesellschaftliche Einschränkungen und Zwänge. Es war ein aufregender und liebevoller Moment und ich bereue nicht, Teil davon gewesen zu sein.

BenLeander

 

Fotos: Andy Joe, Gerald Hirl, Paul Jimenez, Martin Rettenbacher, Stephane Pictures

Compulsive nonconformist who left the 9-to-5 world after studying psychology and has since then devoted himself to design and writing on a freelance basis. Has at least four different kinds of chips at home at any given time.

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